Dezember 2003

Aufruf zum Erhalt des Sozialtickets

Offener Brief an den Berliner Senat und den Verkehrsverbund Berlin Brandenburg

Der Arbeitskreis Wohnungsnot, ein Zusammenschluss freier und öffentlicher Träger der Wohnungslosenhilfe, protestiert gegen die geplante Abschaffung des Sozialtickets.

Bislang konnten SozialhilfeempfängerInnen für 20,40 € eine Monatskarte für die Tarifbereiche A und B erwerben. Diese Möglichkeit nutzten 2003 ca. 80.000 Personen. Im kommenden Jahr soll das Sozialticket von BVG und S-Bahn ersatzlos abgeschafft werden. Der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg gibt als Grund an, der Senat habe die Zuschüsse in Höhe von 17,4 Millionen Euro zum Jahresende gestrichen. Auch das verbilligte Ticket für BezieherInnen von Arbeitslosenhilfe ist gefährdet: Mit der Zusammenlegung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe im Juli 2004 entfällt nach Angaben des Verkehrsverbundes der Kreis der Anspruchsberechtigten. Dabei wird sich durch diese Zusammenlegung die Zahl der armutsbetroffenen Menschen erheblich erhöhen!

Mobilität ist eine wichtige Voraussetzung für die Teilnahme am gesellschaftlichen und sozialen Leben. In einer Großstadt wie Berlin ist die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrssystems unverzichtbar. Für viele EmpfängerInnen von Sozial- und Arbeitslosenhilfe werden die Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach dem Wegfall der Ermäßigung zu einer enormen Belastung führen und ihre Mobilität erheblich einschränken. Gleichzeitig sollen sich Erwerbslose im Zuge der geplanten Sozialreformen noch intensiver um Arbeit bemühen, noch mobiler und flexibler werden. Arbeitsfähige SozialhilfeempfängerInnen müssen in vielen Sozialämtern monatlich mindestens 20 Arbeitsbemühungen nachweisen und gemeinnützige Arbeit leisten. Auch Wohnungslose sind hiervon betroffen. Neben ihren Bemühungen um Arbeit sind sie zudem auf der Suche nach einer Wohnung. Darüber hinaus sind sie auf die über die ganze Stadt verteilten Angebote der Wohnungslosenhilfe angewiesen.

Ob die Streichung der Vergünstigungen tatsächlich zu einer erhofften Kostenersparnis bei den Verkehrsbetrieben und der öffentlichen Hand führt ist fraglich. So können sich Sozialhilfeempfängerinnen in begründeten Einzelfällen die Kosten, die über den im Regelsatz enthaltenen Anteil an Fahrtkosten hinausgehen, auf Antrag erstatten lassen. Diese Verfahrensweise kann im Einzelfall recht kostenintensiv sein und bedeutet in jedem Fall einen deutlichen Mehraufwand für die ohnehin überlasteten SachbearbeiterInnen der Berliner Sozialämter. Zudem ist davon auszugehen, dass zunehmend mehr Menschen aus materieller Not heraus die öffentlichen Verkehrsmittel auch ohne Fahrschein nutzen werden. Dies wird erhebliche gesellschaftliche Folgekosten nach sich ziehen: Kosten durch vermehrtes Mahnwesen bei den Verkehrsbetrieben sowie durch anhängige Gerichtsverfahren, Ersatzfreiheitsstrafen als Folge nicht gezahlter Geldstrafen etc...

Es gibt somit viele Argumente, die für den Erhalt des Sozialtickets sprechen. Sicherlich steckt das Land Berlin in einer tiefen Finanzkrise - dennoch sollten die Verantwortlichen abwägen, ob Zuschüsse in diesem Bereich nicht sinnvoll und nachhaltig eingesetzt sind. Die Verkehrsbetriebe sollten bedenken, dass auch ohne Zuschuss das Sozialticket Einnahmen von mehreren Millionen Euro erwirtschaftet.

Wir appellieren an die Verantwortung des Senats und des Berliner Verkehrsverbundes und fordern, eine Lösung zum Erhalt eines verbilligten Tickets für Einkommensschwache zu finden.

Arbeitskreis Wohnungsnot, 10.12.2003