März 2023

Offener Brief zum Umgang mit (in)formellen Siedlungen in Berlin

Am 22.02.2023 bestätigte das Verwaltungsgericht Berlin eine Anordnung des Bezirksamtes Treptow-Köpenick, wonach mehrere kommerziell und ohne Genehmigung betriebene Wohnwagencamps im Bezirk geräumt werden sollen. Medienberichten zufolge sollen die Betreiber dieser Camps Quadratmeterpreise von 30 bis 40 Euro verlangt haben. Aktuell ist uns nicht bekannt, wie viele dieser Camps existieren und wie viele Menschen von einer Räumung betroffen sein werden. Als AK Wohnungsnot wissen wir von circa 500 Personen, die in Camps dieser Art eine Bleibe gefunden haben. Wir befürchten, dass berlinweit aber mehr als 1000 Menschen betroffen sein könnten.

Als Arbeitskreis Wohnungsnot kritisieren wir die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes. Zwar verurteilen wir alle Bestrebungen, Profit mit von Wohnungslosigkeit betroffenen Menschen zu machen, denn die Zustände in vielen dieser Anlagen sind häufig mehr als fragwürdig. Dennoch bieten diese Orte den Menschen aber immerhin Möglichkeiten, die sie in ASOG Unterkünften oft nicht haben, z.B. können sie dort auch mit ihrem:ihrer Partner:in oder ihren Tieren unterkommen. Viele der Betroffenen benötigen oder wollen schlicht mehr Privatsphäre, weshalb sie derartige Wohnwagen/Schlafcontainer den teuren ASOG-Unterkünften oder Notunterkünften vorziehen. Insbesondere berufstätige Personen zahlen notgedrungen "lieber" 500 € im Monat für einen eigenen Wohnwagen als bis zu 50€ pro Tag für ein Bett in einem Wohnheim.

Darüber hinaus wissen alle Beteiligten um den maximalen Druck am Berliner Unterbringungsmarkt. De facto gibt es derzeit keine freien Kapazitäten, erst recht nicht für nun weitere hunderte, eigentlich bereits "untergebrachte" Personen. Die anstehende Räumung dieser Anlagen kann und wird daher direkt in die Obdachlosigkeit führen.

Seit Jahren wird in Berlin nun über sogenannte Safe Places gesprochen - Orte, an denen Obdachlose sicher und selbstbestimmt campieren können oder wetterfeste Behausungen bekommen. Am Ostbahnhof wurden unter dem Namen Safe Place kurz vor der Wiederholungswahl drei winzige Holzhütten aufgestellt und den Betroffenen zur Verfügung gestellt. Projekte dieser Art werden mit viel Geld und Sozialarbeit gefördert. Wie "safe" und vor allem selbstbestimmt diese Orte dann wirklich sind, ist allerdings fraglich. Gleichzeitig mussten wir in den letzten Jahren zahlreiche Räumungen von informellen Siedlungen erleben. Die massive Räumung der Rummelsburger Bucht stellte dabei nur die Spitze des Arbeitskreis Wohnungsnot, Wartenberger Straße 24, 13053 Berlin Eisbergs dar. Tagtäglich werden obdachlose Menschen aus dem öffentlichen Raum vertrieben - aus ihren eigenen für sicher erachteten Plätzen. Der neue Leitfaden Obdachlosigkeit des Bezirks Neukölln, ein ganz klar ordnungspolitisches und tendenziöses Papier, sieht Räumungen dieser Camps ausdrücklich weiterhin vor. Gegen eine Räumung kämpfen mittlerweile auch alteingesessene Bauwagensiedlungen. Das alles passiert in einem Umfeld, in dem jährlich hunderte Menschen direkt aus ihren Wohnungen auf die Straße geräumt werden.

Was genau ist also ein Safe Place? Kommerziell organisierte Wagenplätze, trotz gegenteiliger Behauptungen der Bewohnenden, sind es scheinbar nicht. Von Betroffenen selbst gewählte Orte offenbar auch nicht. Bezirkliche Flächen mit auferlegtem Regelwerk und Sanktionen unserer Meinung nach aber genau so wenig.

Aktuell hat weder die Senatsverwaltung noch die Politik ein wirkliches Konzept für Safe Places oder den Umgang mit informellen Siedlungen in Berlin. Als Arbeitskreis Wohnungsnot vermissen wir eine ernst gemeinte Debatte. Eine Debatte, die klärt: Wann hören Räumungen auf und wo fängt der Safe Place an?

Im Interesse der räumungsbedrohten Menschen fordern wir diese Debatte ein. Wir brauchen eine öffentliche Safe Place Konferenz unter maximaler Einbeziehung der Betroffenen. Eine Konferenz für selbstbestimmte Räume oder Plätze, die die Menschen auch
selbst mitgestalten können. Bis dahin darf eine Auflösung dieser Anlagen nicht gegen den Willen der Betroffenen und nur im Zusammenhang mit einer adäquaten Wohnalternative durchgeführt werden!

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