3. März 2021

Pressemitteilung zur Räumung der Rummelsburger Bucht - Im Diskurs mit Sozialstadtrat Kevin Hönicke (SPD) und Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke)

Nach der sehr umstrittenen Räumung der Rummelsburger Bucht vor einem Monat, entschied sich der Arbeitskreis Wohnungsnot die involvierten Entscheidungsträger:innen zu einem klärenden Gespräch einzuladen. Unserer Einladung sind dankenswerterweise Frau Senatorin Elke Breitenbach und Herr Sozialstadtrat Kevin Hönicke (Lichtenberg) nachgekommen. Wir konnten mit Markus Siebert auch einen Kollegen der an der Räumung beteiligten Karuna Task Force begrüßen. Es waren weitere 65 Teilnehmer:innen anwesend.

Gemeinsam versuchten wir am 3.3.2021 die Geschehnisse der Nacht des 5.2.2021 einzuordnen. In dieser Nacht mussten die rund 100 Bewohner:innen auf Anordnung der Polizei das Camp an der Bucht verlassen. Einen guten Überblick über den Ablauf der Räumung kann im Tagesspiegel nachgelesen werden.

Alle Beteiligten zeigten sich sehr betroffen vom Verlauf der Geschehnisse. Herr Hönicke vom Bezirksamt Lichtenberg übernahm im Gespräch die volle Verantwortung für die Entscheidung der Räumung. Er beschrieb seine Sorge vor möglichen Todesfällen durch die anstehende Kältewelle, inklusive erwartetem Schneesturm. Am Tage des 5.2. habe er sich im direkten Austausch mit dem Katastrophenschutz des Bezirkes befunden. Dieser riet ihm schnellstmöglich zu handeln zum Schutz von Leib und Seele. Für Herrn Hönicke war die Räumung aus der damaligen Bewertung eine Evakuierung im Sinne der Betroffenen. Eine nur vorübergehende Evakuierung wäre aufgrund der Eigentumsverhältnisse vor Ort jedoch nicht möglich gewesen. Dass bereits am 6.2. Bagger vor Ort gewesen seien, habe den Bezirksstadtrat ebenso wie die Bewohner:innen überrascht und er entschuldigte sich im Gespräch dafür.

Markus Siebert von Karuna stützte die Schilderungen von Herrn Hönicke. So wurde die Task Force sehr kurzfristig eingeschaltet und sah sich als Unterstützerin in einer humanitären Notlage. Herr Siebert bewertet daher weder das Vorgehen noch die Arbeit der Task Force als klassische Sozialarbeit.

Auch Sozialsenatorin Breitenbach zeigte sich überrascht von der sehr spontanen Entscheidung, konnte diese aufgrund des Wetters aber voll nachvollziehen. Sie wünscht sich im Allgemeinen einen bessere Kommunikation im Vorfeld und mehr Engagement der Bezirke. Die Situation der Bucht war nicht nur ihr schon länger bekannt. Bereits in der Vergangenheit habe sie die Einrichtung sogenannter Safe Places angeboten. Dafür benötige sie allerdings die Zuarbeit der Bezirke, diese müssen Grundstücke zur Verfügung stellen . Dies sei bislang nicht geschehen. Im Kontext der Pandemie sehe sie die Einrichtung von Safe Places zudem kritisch. Vielmehr verwies sie auf die Möglichkeiten der bezirklichen Unterbringungen, insbesondere die der Kältehilfe. Diese würden zu wenig genutzt. Angesichts der Tatsache, dass Menschen nicht nur pandemiebedingt nicht in Massenunterkünften schlafen wollen, erscheinen uns Safe Places ein erster Schritt in ein selbstbestimmtes Leben von Menschen ohne Obdach. Wir fragen uns deshalb, wenn Safe Places in dieser krisenhaften Zeit nicht sinnvoll sind, wann dann?

Weiterhin übte die Senatorin Kritik an den involvierten Trägern der Sozialen Arbeit. Sorge bereiteten ihr vor Ort befindliche Minderjährige und Schwangere. Ihr Auftrag an die Sozialarbeit, dass besonders Schutzbedürftige gemeldet werden sollten, hinterlässt bei uns einen faden Beigeschmack und den Eindruck, dass weiterhin mithilfe des vermeintlichen Kontrollinstruments Sozialarbeit über Menschen entschieden werden soll, nicht mit ihnen. Zudem legt die Einstellung der Senatorin eine Auftragsklärung der Sozialarbeit nahe. Muss Sozialarbeit eine Wächterfunktion übernehmen oder gar Amtshilfe bei Räumungen leisten? Auch hier werden wir im Gespräch bleiben müssen, denn das ist nicht unser Verständnis von sozialer Arbeit.

Trotz des prinzipiell konstruktiven Gesprächs bleiben weiterhin Fragen offen. Warum wurden einige räumungskritische Träger (Gangway e.V., Straßenkinder e.V.), die vor Ort tätig sind, nicht in den Prozess eingebunden? Warum muss eine Räumung mitten in der Nacht geschehen und warum wird erst auf einen Schneesturm gewartet bis gehandelt wird? Es gab bereits sehr kalte Tage und einige Vorschläge das Leben im Camp zu erleichtern. So schlug der HVD bereits im Dezember eine Hygienestation und ein Wärmezelt vor. Das wurde vom Bezirksamt mit Verweis auf die anstehenden Baumaßnahmen abgelehnt.

Wir schließen uns daher der Fachgruppe Wohnungsnotfallhilfe des Paritätischen Landesverband Berlin e.V. in ihrer Vermutung an, dass die Bewohner:innen des Camps Opfer unterschiedlicher, nicht vollends transparenter Interessen geworden sind. Dass auch einen Monat nach den Ereignissen Fragen offen bleiben, ist fragwürdig und kein Paradebeispiel von gelungenem Verwaltungshandeln in Berlin.

Alle Beteiligten zeigten sich reflektiert und einigten sich darauf, dass nur eine gemeinsame Lösungsfindung nachhaltig sein kann. Die reine Zerstörung von Strukturen wie denen an der Rummelsburger Bucht ist für uns nicht zielführend. Eine spontane Einzelentscheidung darf nicht über das Schicksal einer ganzen Gruppe entscheiden. Frau Senatorin Breitenbach sagte selbst, dass Menschen individuell und vielfältig sind, ebenso ihre Lebenswirklichkeiten. Dem Wunsch der Senatorin, dass Sozialarbeitende dies wahrnehmen sollten, wird aus unserer Sicht bereits entsprochen. Fraglich ist, ob es auf politischer Ebene ebenso ist.

Für die Zukunft fordern wir den frühzeitigen Dialog mit erfahrenen Organisationen wie Gangway e.V. und vor allem mit den Betroffenen sowie die Vermeidung Räumungen dieser Art. Wir unterstützen die Beteiligten gerne bei der Ausarbeitung von Alternativen und der Erprobung der Safe Places.

Am Ende bleibt die Frage, wie wir in dieser höchst individuellen Stadt zukünftig miteinander leben wollen.

Ihre Vorbereitungsgruppe des Arbeitskreises Wohnungsnot

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