Dezember 2004
Große Nachfrage bei Fachtagung zu den Auswirkungen von Hartz IV auf Wohnungslose
Der Arbeitskreis Wohnungsnot veranstaltete am 08.12.2004 gemeinsam mit der Alice-Salomon-Fachhochschule für Sozialarbeit eine Fachtagung zum Thema
„Hartz IV – Chance oder Stolperstein für wohnungslose Menschen?“.
Zwei Themen standen im Fokus der gut besuchten Veranstaltung:
- Können wohnungslose Menschen die Anforderungen, die das Gesetz zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II) an sie stellt, angesichts ihrer besonderen sozialen Situation erfüllen oder geraten Sie aufgrund der Sanktionsmechanismen endgültig ins sozialen Abseits?
Die Hartz-Gesetze sind ein arbeitsmarktpolitisches Instrument. Die verhältnismäßig kleine Gruppe der Wohnungslosen hatte der Gesetzgeber bei der Planung dieser Gesetze nicht im Auge. Hierin liegt eine besondere Brisanz. Alle Arbeitslose werden ab dem 01.01.2005, sofern sie grundsätzlich in der Lage sind, mindestens 3 Stunden am Tag einer Beschäftigung nachzugehen, als arbeitssuchend und arbeitsfähig eingestuft. Im Rahmen einer Eingliederungsvereinbarung sind sie verpflichtet, alles zu tun, um Vermittlungshindernisse auszuräumen (Krankheit, Sucht, Schulden, Arbeitsentwöhnung, fehlende Qualifizierung etc.). Menschen jedoch, die in ihren Grundbedürfnissen durch die Wohnungslosigkeit schwer beeinträchtigt sind, sind aus sozialen Gründen oft nicht in der Lage, sich dieser Anforderung zu stellen. Sie haben Angst, sind nicht belastbar, können ihre Interessen nicht formulieren, haben keine Alltagsstruktur u. v. m. Die besonderen Schwierigkeiten sind fachlich anerkannt. Das Gesetz (hier das SGB XII) sieht deshalb besondere Formen der Hilfe vor. Es sieht jedoch keine zwangsläufige Vernetzung dieser Hilfe mit dem Eingliederungsplan der Arbeitsagenturen vor, weshalb den Betroffenen als Sanktion Leistungskürzungen drohen, obwohl sie gar nicht in der Lage sind, die an sie gestellten Anforderungen zu erfüllen. Dieser Umstand könnte eine Reintegration endgültig verhindern und auch ein Abdriften in die Kriminalität begünstigen.
- Droht den ehemaligen Arbeitslosenhilfe-EmpfängerInnen angesichts der Angemessenheitskriterien für Wohnraum und der drastischen und rapiden Einkommensabsenkung durch Einführung des Arbeitslosengeldes II (ALG II) der Verlust ihrer Wohnungen?
Die Hartz-Gesetze sehen auch für Menschen, die viele Jahre und Jahrzehnte in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben, bereits nach kurzer Zeit eine Einkommenssenkung auf Sozialhilfeniveau vor. Gleichzeitig werden für den Kreis der Leistungsberechtigten Angemessenheitskriterien für ihren Wohnraum definiert. Dieser Umstand und die schnelle Verarmung werden sehr wahrscheinlich in vielen Einzelfällen zum Verlust der Wohnungen und zu Wohnungslosigkeit führen, - so die Prognose der Fachleute.
Nach hochkarätigen Referaten zu den genannten Themen am Vormittag stellten sich am Nachmittag vor ca. 300 Fachleuten Johannes Lippert vom Landesverband Westfalen-Lippe und Elfi Jantzen von den Bündnis 90/Die Grünen einer moderierten Pro-Contra-Diskussion.
Im Ergebnis bewerteten sowohl J. Lippert als Contra-Part und E. Jantzen als Befürworterin die Hartz-IV-Gesetze sehr differenziert. Beiden gemeinsam war der Tenor, dass die Gesetze zwar gute Chancen auch für den Personenkreis Wohnungsloser bieten, es jedoch erhebliche Mängel bei der Umsetzung geben wird.
Hier setzt auch der Hauptkritikpunkt des Arbeitskreises Wohnungsnot an:
Im Zusammenhang mit der allgemeinen Föderalismus-Diskussion ist grundsätzlich zu begrüßen, dass der Rahmen der Gesetze den Kommunen große Handlungsspielräume überlässt. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass die Kommunen aufgrund fiskalischer Überlegungen die ihnen gegebenen Chancen nicht nutzen und ihren fiskalischen Druck auf die ohnehin schwer belasteten Betroffenen weiter geben. Es gibt kein Controlling, welches gewährleistet, dass die Gesetze von den Kommunen im Sinne ihrer Intention angewendet werden. Und das Gesetz sieht für den Fall, dass die Kommunen der Intention des Gesetzgebers nicht gerecht werden, auch keine Steuerungsmöglichkeiten durch den Bund vor.